DER NRW-TAG. (VII+ENDE)
Wuppertal bewegt. Kaum was.
Das vermeintliche Grossereignis NRW-Tag 2008 entpuppte sich am Wochenende als ein – wunderbar von allen Seiten ausgeleuchtetes – Windei. Weder war es jenes epochale Ereignis, als dass es offiziellerseits lange verkauft wurde, noch wurde das Wochenende zu einem starken Zeichen des Protests.
Das in weiten Teilen schlichte Volksfest, dem Lokalpolitik und Stadtmarketing länger als ein Jahr sämtliche Prioritäten eingeräumt hatten, ging bundesweit nahezu vollständig unbemerkt vonstatten. Die Bühne der medialen Aufmerksamkeit, auf der die “einmalige Gelegenheit, die Stadt Wuppertal zu präsentieren”, stattfinden sollte, beschränkte sich dann letztlich doch auf einen Radius, der nicht bis hinter das WDR-Landesstudio reichte.Kein einziger überregionaler Artikel und nicht ein Bericht über Wuppertal als “Standort starker Marken und Global-Player” sind in den bürgerlichen Medien erschienen und noch immer liegt die Website NRW Tag in der Wupper versenken, unmittelbar hinter der Startseite und dem Programm des NRW-Tags, sowie einer Seite, die sich mit dem letztjährigen Veranstalter, Paderborn, beschäftigt, auf einem sensationellen vierten Platz der aktuellen Google-Ergebnisseite. Dem Google-Ranking nach zu urteilen handelte es sich beim NRW-Tag also offenbar nur um allseits in die Augen gestreuten Sand.Das Ganze also nur ein lokales Gedöns ohne jede, über Wuppertal hinausweisende, Bedeutung? Der NRW-Tag nur ein Fake der städischen Vermarktungsagentur zur Bestätigung einer eigenen Notwendigkeit?
Wer weiss. Vielleicht sind die wichtigsten Präsentationen ja hinter den verschlossenen Türen des von der Bevölkerung abgeschirmten Teils des NRW-Tags abgelaufen, z.B. vor privaten Investoren, denen man weitere Stücke gemeinsamen, kommunalen Eigentums zuschanzen möchte. Die teilweise an einen Staatsbesuch erinnernde Präsenz von Ordnungskräften an der Stadthalle, mit der einige Demonstranten auf eine absurd grosse Distanz zum Meet & Greet der Provinzprominenz gehalten werden sollten, lässt zumindest darauf schliessen, dass der relevantere Teil des NRW-Tags sich bei Empfängen oder dem Unternehmerkongress abgespielt haben dürfte. Sicher kann man nur sein, dass Vorhaben, die dort verabredet wurden, sich gegen die Interessen derjenigen richten werden, die sich zeitgleich durch die PR-Abteilungen von Bundeswehr, Polizei und Kapital in grosser Zahl haben bespassen lassen.Wer mit offenen Augen herumlief, konnte am Freitagnachmittag viele Situationen beobachten, die den inneren Zustand der Gesellschaft bestens illustrierten. Einer kleinen Versammlung kämpferisch Unzufriedener gegenüber, versammeln sich selten geschmacklos gekleidete Menschen auf der Freitreppe eines nur ihnen vorbehaltenen Prachtbaus, der doch eigentlich allen Bürgern der Stadt gehören sollte. Voneinander getrennt wurden die beiden kleinen Gruppen durch eine sechzig Meter breite Pufferzone und die darin befindlichen Polizisten. Während auf der einen Seite der Demarkationslinie um die Artikulaltion von Flüchtlings-, Mieter- oder einfach Bürgerinteressen gerungen wird, zelebrieren sich die anderen drüben selber, und arbeiten an der fortgesetzten Durchsetzung ihrer Eigeninteressen.Die, um die es dabei geht, die Wuppertaler schliesslich, deren Lebensqualität hinter verschlossenen Türen an belgische Energiekonzerne oder ortsnahe Drahtzieher korrupter Netzwerke verhökert werden, feiern unterdessen die Schimäre einer lebenswerten, netten Stadt. Sie machen sich sogar das sie verhöhnende Motto des Stadtmarketings “Keiner wie wir” zueigen, dessen wahre Bedeutung sich bei der Selektion genehmer Gäste an der Stadthalle, oder auch beim Trachtenumzug in Sonnborn gezeigt haben dürfte.In dieser Beziehung hinterlässt das vergangene Wochenende dann auch Ratlosigkeit. Irgendetwas kann nicht stimmen. Während auf der einen Seite auf einen angeblichen “Linksruck” der Gesellschaft draufgehauen wird, dass die mediale Schwarte kracht, und Deutschland tatsächlich auch das derzeit einzige westeuropäische Land mit einer erstarkenden, zumindest dem Namen nach, linken Partei jenseits der Sozialdemokratie ist, lässt sich auf der anderen Seite weder der vermeintliche Trend, noch die parteipolitische Tatsache im Geschehen wahrnehmen.Im Gegenteil. Unkritische und unhinterfragte Standpunkte sind en Vogue. Vorgetragene Kritik gilt als Miesepeterei. Kein Problem also für das lokale Zeitungs-Monopol, eine bis zum heutigen Morgen andauernde – und an Hartmannsche Zeitenerinnernde – Jubelperserberichterstattung durchzuziehen, peinlich darauf achtend, die politischen und kritischen Themen des NRW-Tags mit keinem Wort zu erwähnen. Kein Problem auch für die Politiker, sich bei der ein oder anderen Vergnügung zu zeigen, um gönnerhaft zu winken und Sprechblasen dazulassen, deren Inhalt häufig jeder Logik spotten.So kann, unter Ausblendung urbaner Realitäten, die “Cronenbergisierung” einer grossen Industriestadt erfolgreich weiter vorangetrieben werden. Was immer den Blick auf die Inszenierung einer heilen Welt stört, wird unsichtbar gemacht oder instrumentalisiert. Vernichtung durch Niedlichkeit. Und so kann weiter glaubhaft vorgekaukelt werden, lokale “Entscheidungsträger” setzten sich für die Interessen der Wuppertaler ein, obwohl sie doch qua Parteibunch an bevölkerungsfeindliche Interessenpolitik gebunden sind.Wie z.B. kann man einem Peter Jung, der gleichzeitig Oberbürgermeister und als solcher Angehöriger des mittleren Managements einer Partei ist, die den Raub des Volksvermögens Bahn entscheidend vorantreibt, abnehmen, ernsthaft und entschieden lokale Mobilitätsbedürfnisse der Bevölkerung zu vertreten, wenn diese doch privatisierungsschädlich sind? Krieg ist Frieden und Frieden ist Krieg.Trotz breit gestreuter Themen ist es den Protestgruppen nicht gelungen, dem etwas wahrnehmbar entgegenzusetzen und dem NRW-Tag das zu verschaffen, was er wirklich verdient gehabt hätte – eine Politisierung.
In diesem Zusammenhang stellen sich einige Fragen.Zum Beispiel die nach der unrühmlichen Rolle des Wuppertaler AStA, und die, wie es dazu kommen konnte, dass ein unsicherer Mit-Organisator in der Lage war, am Morgen des geplanten Tribunals als begehrter Kronzeuge des Stadtmarketings gegen “gewaltbereite Störer” in Erscheinung zu treten. Die Wirkung dieser “Entschuldigung” des neuen AStA-Vorstands auf mglw. protestbereite, aber unsichere Menschen, die mehrheitlich von inneren Auseinandersetzungen des AStA keine Ahnung haben, ist nicht zu unterschätzen.Eigentlich war der Protest durch die öffentliche Diskreditierung des Aufrufs zum Tribunal durch einen ehemaligen Mitorganisator als “gewaltbereit”, von Anfang an auf eine ghettoisierte Normalsituation zurückgeworfen. Ebenso müssen Fragen, die sich mit Inhalt und Form eines Protest – wie z.B. einem Tribunal gegen die Landespolitik – beschäftigen, gestellt werden, wenn überhaupt gesellschaftliche Relevanz und eine strategisch offensive Position zurückgewonnen werden soll.Ob eine Beschäftigung mit diesen Fragen möglich sein wird, ist für die Möglichkeit urbaner Selbstbehauptung von grosser Bedeutung – auf eine Beantwortung dieser und anderer Fragen zu verzichten und stattdessen die Verantwortung dafür, dass zuviele wegbleiben, woanders zu suchen, hiesse, einer ebensolchen Schimäre nachzulaufen, wie die Mehrzahl der feiernden Wuppertaler. Nur heisst sie hier “kämpferische Community” und “Reclaim the Streets”.”Wenn sie ein Bild von der Zukunft haben wollen, so stellen sie sich einen Stiefel vor, der auf ein Gesicht tritt. Unaufhörlich.” (George Orwell, “1984″)***
Mit diesem Beitrag wird die UMLOG-Artikelserie zum NRW-Tag in Wuppertal abgeschlossen. Lokales wird zukünftig an anderer Stelle fortgesetzt. Dazu dann demnächst mehr.
Rubrik: kiez und umgebung, lüge und wahn, plan und aktivismus
Schlagworte: Fazit, NRW-Tag, Wuppertal
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