Wir können auch anders
Am Donnerstag, dem 04.03.2010 findet in der “Alten Feuerwache” ein Treffen der sogenannten “freien Szene” Wuppertals statt, bei dem sich Künstler und Kulturarbeiter intern über ihre Haltung zu einem von Oberbürgermeister Peter Jung angeregten Treffen zwischen Stadtspitze und Kuturszene verständigen wollen. Da das hier zwar wenig “Szene” aber viel “Frei” ist, gibt es dazu an dieser Stelle einen Zwischenruf von um3000.
Wir können auch anders
Ja, eine freie Kultur ist notwendig. Und ja, Politik muss sich eine freie Kulturszene leisten, wenn sie sich als eine für die Menschen verstehen will. Das tut sie aber nicht. Sie ist eine Politik für Konzerne und den Krieg, für das Absahnen und das Ausgrenzen. Und sie leistet sich freie Kultur nicht mehr.
In einer Gesellschaft, die für die Menschen gebaut ist, und die sich freie Kultur leistet, erfüllt diese wichtige Aufgaben der Weiterentwicklung. In einer Gesellschaft, in der stattdessen Profite die Prioritäten setzen, haben Kulturschaffende zunächst eine ganz andere Verpflichtung, sie müssen an der vorderen Linie einer Gegenentwicklung stehen.
Ihnen fällt die Aufgabe zu, die Politik zu kritisieren, Neues zu entwickeln und ggf. auch einen breiten Widerstand gegen bestehende Herrschaftsverhältnisse vorzubereiten und dann auch zu organisieren. In einer menschenfeindlichen Struktur muss die freie Kultur zur echten Off-Kultur werden. Ihr Platz ist draussen. Ausserhalb bestehender Machtstrukturen und ausserhalb jedes falschen Konsens. Ihr Platz ist im Off.
Diese Stadt befindet sich in einer solchen Situation. Wenn in Wuppertal überhaupt noch etwas gehen soll, muss sich die Kultur jetzt neu positionieren.
Aus smart geförderten Einrichtungen, die an der Oberfläche kratzen, müssen wieder Zellen im Untergrund werden. Frei, radikal und fest entschlossen. Dazu müssen auch Risiken eingegangen werden. No risk – no fun. Ein risikoloser Weg führt zur vollendeten Lobotomie am urbanen Organismus.
Die freie Kultur muss sich befreien. Wer von einer Handvoll Dollars abhängig ist, ist nicht frei. Wer noch meint, mit den Herrschenden frei über Kultur diskutieren zu können, irrt. Deren Kulturbegriff ist nicht der eure. Wenn sie mit euch über Kultur reden, meinen sie Standortvorteil und ekligen Kulturtourismus. Wenn sie mit euch über eure Arbeiten sprechen, sind sie auf der Suche nach einem vermarktbaren Produkt, einem “Image”, dem “Brand” oder einer harmlosen Bespassung. Wenn sie Kultur sagen, meinen sie zumeist Anpassung, Unterhaltung und Beiwerk zum Häppchen.
Zu lange liefern wir ihnen das schon. Zuviele der in Wuppertal an und in der Kultur Arbeitenden verstehen sich inzwischen selbst als eine Art Dienstleister.
Wir müssen alle wieder lernen echten Widerstand zu leisten. Jetzt und hier. Zäh und kreativ. Wir müssen ihnen weh tun. Dazu müssen wir unsere Informationen besser vernetzen, ohne in etliche Kleingruppen zu zerfallen – wir müssen uns auf ein zentrales Informationsportal einigen, das von allen genutzt und auch aktualisiert wird. Auf einer breiten Basis. Wir brauchen auch eine neue Solidarität des gegenseitigen Gebens und Nehmens, die unser Überleben sichert. Und wir brauchen neue, zurückeroberte Orte und Plätze, spontane Bühnen, illegale Clubs und nomadische Kulturstrategien die notfalls auch gemeinsam verteidigt werden müssen. Wir brauchen neuen Idealismus, denn wir müssen schlicht den Underground reorganisieren. Zu häufig ist der zum Eventspektakel verkommen. Wir sollten damit aufhören, zu fordern und stattdessen an einem Selbstbewusstsein arbeiten, das es erlaubt einfach zu nehmen.
Ihre eigene marktfixierte Logik angewendet, kann man ihr zynisches Sparen um zu gestalten-Sparkonzept schliesslich genau andersherum interpretieren: Wer nichts mehr bezahlt, hat auch nix mehr zu sagen. So einfach.
Also, Peter Jung halt die Fresse – wo soll deine Legitimation eigentlich herkommen? Aus den albernen 45.000 Votes bei 350.000 Wuppertalern? Aus deiner Hilflosigkeit, die Folgen des eigenen politischen Handelns zu bewältigen? Mit dir braucht es keine gemeinsame Basis. Es braucht auch keine Erlaubnis zu irgendwas. Wer nichts hat, hat auch nichts zu verlieren. Also, Sicherheitsdienste verpisst euch – wenn das Theater geschlossen wird, machen wir unser Theater in den City-Arkaden; wenn unsere Quartiers-Initiativen geschliffen werden, schaffen wir Spielräume eben auf der Bundeallee – einige quergestellte Transporter schaffen genug Platz für spielenden Kids und nachbarschaftliche Aktivität – und wir essen notfalls auch gemeinsam in einer Volksküche mitten auf dem Akzentaparkplatz. Die schweren Einkaufstüten der Besitzenden wollen nämlich erstmal im teuren Daimler oder Porsche verstaut sein.
Doch am Anfang muss eine klare Absage des Treffens mit Oberbürger Peter Jung stehen. Wenn wir unsere Würde und wichtiger noch, eine Wirkung, behalten wollen, ist die einzig mögliche Reaktion auf das Vorgehen der Stadt ein sofortiger und vollständiger Abbruch aller Gespräche mit den politisch Verantwortlichen und der Verwaltung der Stadt Wuppertal. Diese Stadtverwaltung darf ab sofort keine Kulturszene mehr haben, die sie für sich reklamieren kann. Sie muss als genau die kultur- und konturlose leere Hülle vorgeführt werden, die ihren Verwaltern und Entscheidern offenbar vorschwebt.
Macht Schluss mit den Alibigesprächen! Schliesst endlich das Kulturbüro! Nichts können wir auch selber verwalten. Lasst euch nicht länger als Feigenblatt instrumentalisieren! Spuckt dem Stadtmarketing in die laue Suppe!
Die helfen uns nicht.
Wir müssen uns schon selber helfen.
Dann können wir auch anders.
Ernsthaft, wenn sich die sogenannte freie Szene jetzt nicht dazu aufraffen kann, endlich eine klare Kante zu ziehen, hat sie ihre Daseinsberechtigung auch verloren.
um3000
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Rubrik: kiez und umgebung, kultur und alltag, plan und aktivismus, zorn und selbstkontrolle
Schlagworte: Freie Kultur, Spardiktat, Widerstand, Wuppertal
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