Wehrt sich Wuppertal? TEIL 3

Original erschienen bei TUNN:EL

Was nun?

Die Ausplünderung der Städte und ihrer Bewohner und der Umbau der Kommunen zu renditeorientierten Unternehmen vollzieht sich bisher erstaunlich konfliktfrei. Vorgeblich alternativlose Konzepte zur Privatisierung öffentlicher Aufgaben und durch die lokalen Medien gefeierte “zukunftssichernde” Grossprojekte werden von der Bevölkerung zumeist eher leidenschaftslos registriert, und die zunehmenden sozialen Verwerfungen in den Quartieren führen bisher noch nicht zu Auseinandersetzungen zwischen Armen und Besitzenden. Oft sind die ärmsten Städte sogar die sichersten in den entsprechenden Rankings der neoliberalen Thinktanks.

Die herbeigeschriebene Ruhe

Anscheinend führen die Medienberichte über als schicksalshaft dargestellte Notstände zu einer Ohnmacht, die daran hindert, aktiv zu werden und die Angelegenheiten des direkten Umfeldes mitzubestimmen. Wo es vor dreissig Jahren um jede Erhöhung kommunaler Fahrpreise noch Konflikte gab, verfallen die meisten Menschen mittlerweile selbst bei Streichungen fundamentaler öffentlicher Leistungen in eine kaninchenhafte Schreckstarre.

Der Einzelkampf um die wenigen verbleibenden Ressourcen und die Angst vor dem Verlust eigener, noch halbwegs abgesicherter Daseins-Nischen, verhindern bislang gemeinsame Reaktionen und Strategien – zu beobachten in der Auseinandersetzung um die einzelnen Sparposten des Haushaltssicherungskonzeptes. Wenig klare Zusammenhänge zwischen kommunaler Unterfinanzierung und profitfixierten Investoren oder zwischen sozialen Kürzungen bei gleichzeitig weiter ansteigenden sozialen Ausgaben der Städte verwirren zusätzlich. Auch deshalb werden angebliche offizielle Proteste dankbar aufgenommen – immer auch befördert von dem grunddeutschen Glauben, “die da oben” würden es schon richten.

Die öffentlich jammernden Bürgermeister und ihre Verwaltungen nutzen diese gelähmte Haltung, um die Gründe für den stetigen Niedergang der Organisationsform Stadt nach besten Kräften zu verschleiern. Bis auf wenige Ausnahmen haben alle kommunalen Funktionsträger eine Karriere in der Union oder der SPD gemacht. Sie gehören jenem politischen Lager an, das die einstmals von Margaret Thatcher im England der achtziger Jahre vorexerzierte neoliberale Demontage der Gesellschaft auch in Deutschland in Angriff nahm. Peter Jung und seine Kollegen stehen daher nicht nur unbeteiligt und hilflos am Rand des Abgrundes, in den eine Stadt wie Wuppertal zu stürzen droht, sie gehören aktiv zu denen, die den letzten Schritt voran gefordert und gefördert haben.

Dabei stehen ihnen die wenigen wahrnehmbaren lokalen Medien äusserst hilfreich zur Seite, die in einer Stadt wie Wuppertal längst ein Quasi-Monopol innehaben. Wie sollen Gründe und Ursachen des kommunalen Ausverkaufs in der Öffentlichkeit thematisiert werden, wenn sich Lokalmedien wie WZ und WDR eine sehr selektive und nur oberflächliche Berichterstattung zur Problemlage auf ihre Druckfahnen und Sendepläne geschrieben haben? Von wenigen redaktionellen “Unfällen” abgesehen – etwa, wenn Stefan Seitz im kostenlosen Anzeigenblatt Wuppertaler Rundschau ein “Nein” des Stadtrates zum Spardiktat des Kämmerers fordert – agieren die Redaktionen gleichgeschaltet, gebrieft von den Lobbyakteuren der Bertelsmann-Stiftung oder der berüchtigten Initiative neue soziale Marktwirtschaft (INSM), die den journalistischen Alltag gerne mit Tonnen Papier und vorverfassten Leitartikeln erleichtern.

Proteste gegen die Haushaltspläne werden in gute und schlechte sortiert, wie zB. durch den bewährten Hofberichterstatter Andreas Lukesch, der in der WZ deutlich gegen eine kleine Protestaktion nach einer Brecht-Aufführung im Barmer Opernhaus am 22.12. des letzten Jahres Stimmung machte; kritische Stimmen werden normalerweise komplett ausgeblendet, während Profiteure des neoliberalen Strukturwandels wie Jörg Heynkes breiten Raum zur Selbstdarstellung erhalten; und durchaus umstrittene Projekte wie der Umbau des Döppersbergs werden pauschal als für die Zukunft der Stadt unverzichtbar dargestellt, ohne die Planungen ernsthaft zu hinterfragen. Stattdessen werden Gegner des Umbaus von der WZ als sture Wirrköpfe und Nestbeschmutzer behandelt. Die Monopol-Zeitung steht damit fest und ungebrochen in der üblen Tradition eines Michael Hartmann.

Und dass es der sehr üppig gebührenfinanzierte Apparat des WDR schafft, in der lokalen Berichterstattung fast ausschliesslich über bunte Seiten aus der “Vermischtesabteilung” zu informieren, ohne auch nur einmal kritisch bei den Verantwortlichen für die Misere nachzufragen, ist ein Menetekel politischer Einflussnahme auf die öffentlich-rechtlichen TV-Anstalten. Dass es seinerzeit der Kölner “Monitor”-Redaktion bedurfte, ein Interview mit Johannes Slawig zum Cross-Border-Leasing-Desaster der Stadt zu führen, ist ein Armutszeugnis für die Macher der “Lokalzeit Bergisch Land”.

Was kann man schon tun?

Gründe genug also, zu resignieren? Denn wie kann angesichts der geschilderten Zusammenhänge eine Gegenwehr der betroffenen Menschen überhaupt aussehen, wenn die Ursachen der Krise in einem unerreichbar übergeordneten Rahmen zu suchen sind? Wie sollen die wirklichen Gründe für den kommunalen Ausverkauf thematisiert werden, wenn von Zeitungen und Fernsehanstalten keine Unterstützung bei der Aufklärung der Ursachen zu erwarten ist? Wenn sich entstehende Initiativgruppen im Geldmangel oder in toten One-Way-Sackgassen der Verwaltungsebenen verlaufen und potentiellem Widerstand der Elan durch vorgebliche Proteste der Mitverursacher der Krise weggenommen wird?

Am Anfang würde es schon helfen, ein paar Fragen zu stellen, Auf ernsthafte Antworten sollte man jedoch nicht wirklich hoffen – die muss man sich schon selbst geben, was zumeist gar nicht so schwerfällt. Es gibt in der Situation Wuppertals einige ungeklärte Sachverhalte, deren Auflösung auch für die aktuellen Debatten um die ominöse Sparliste sehr interessant wäre.

Wie verhält es sich zum Beispiel mit dem Wuppertaler Eigenanteil bei der Finanzierung des Repräsentationsprojektes Döppersberg? Woher kommen die ca. 35 Millionen Euro? Wieviel Anteil hat der Teilverkauf der Stadtwerke an den belgischen Konzern Electrabel daran? Welche anderen Projekte werden zur Aufbringung der gewaltigen Summe gestrichen? Welche Baufirmen werden von dem 100 Millionen-Projekt profitieren? Denn das viele Geld, dass sich Wuppertal aussagegemäss aus den Töpfen der Landesförderung sichern will, kommt nur sehr indirekt den Wuppertalern zugute. Bezahlt werden damit in erster Linie Bau- und Planungsaufgaben. Gehören auch am Döppersberg also wieder Konzerne wie Bilfinger Berger oder Hochtief zu den Auftragnehmern, die bei fast allen grossen Investitionsprojekten der letzten Jahre Profite scheffelten – notfalls offenbar sogar auf einem Weg der Missachtung von Sicherheitsauflagen wie bei der Kölner U-Bahn-Katastrophe?

Wer sind Partnerbanken und -Unternehmen der Hasselmann und Müller Planungsgesellschaft in Kassel, die die Gesamtplanung bei Finanzierung, Auftragsvergabe und Durchführung des Projektes Döppersberg innehat? Auch wenn der Umbau des Elberfelder Verkehrsknotens offiziell kein PPP-Modell ist, (eine Machbarkeit wurde in der Frühphase der Planungen aber durchaus geprüft), ist keineswegs sicher, dass am Ende nicht doch wieder die gleichen Konzerne profitieren, die bei solchen Partnerschaften mit privat-öffentlichen Konstruktionen ein Oligopol gebildet haben. Über entsprechende Kontakte verfügt Hasselmann und Müller, denn  Kontaktpflege ist schliesslich eines der wichtigsten Ziele bei Veranstaltungen wie “Symposien zu alternativen Finanzierungen”, bei denen sich Baukonzerne und Finanzindustrie ihre öffentlichen Auftraggeber abschussgerecht zurechtlegen. Die Teilnehmerlisten solcher Veranstaltungen, auf denen auch Hasselmann und Müller auftaucht, lesen sich z.T. wie ein “Who’s Who” des neoliberalen Oligopols. Man findet dort neben politischen und administrativen Entscheidern solch schillernde Namen wie Freshfields, Alpine Bau Deutschland, Hochtief PPP Solutions, Siemens, CommerzLeasing und Immobilien oder die heute bankrotte Royal Bank of Scotland.

Auch beim Neubau eines Jugendknastes in einem der am meisten frequentierten Naherholungsgebiete der Stadt stellen sich diese Fragen. Wer profitiert vom Bau? Gibt es Koppelvereinbarungen mit einem Ausbau der Landesstrasse zur Autobahn A1 in Wuppertal Ronsdorf? Wer hat eigentlich die Wuppertaler je gefragt, ob sie die Stadt als ein “Kompetenzzentrum Knast und Lager” wünschen?

Wessen Interessen werden bedient, wenn weitere Shoppingmalls geplant und durchgedrückt werden, (z.B. an der Ohligsmühle), wo doch gleichzeitig die Innenstädte Wuppertals immer neue Rekorde an Leerständen im Einzelhandel aufweisen? Wem dient ein IKEA in Innenstadtnähe, ausser den Schweden selbst? Und aus welchem Grund wird einem Investor wie dem Metro-Konzern gestattet, dem städtebaulichen Monstrum Morianstrasse mit dem SATURN ein weiteres Monument ohne Fenster hinzuzufügen, wodurch jeder Versuch, der Elberfelder City ein sympathischeres Entreé zu verschaffen, ohnehin wie Hohn wirken muss?

Und wenn der Teilverkauf der kommunalen Stadtwerke schonmal erwähnt wird: Haben eigentlich die Interessen der belgischen Electrabel etwas damit zu tun, dass notwendige und überfällige Reparaturen des Schwebebahngerüstes nicht ausgeführt wurden? Steht das Rückgrat des Wuppertaler Nahverkehrs still, weil eine Querfinanzierung der Verkehrsbetriebe zur Instandhaltung der Schwebebahn mit den privat/öffentlichen Besitzverhältnissen im Energiesektor nicht mehr vereinbar war? Leiden Tausende im Nahverkehr, weil der belgischen Electrabel die Reparaturkosten am kaputten Fahrgerüst nicht vermittelbar sind?

Die Krise der Städte wird auch am Hindukusch verursacht

Doch erst wenn Fragen über den örtlichen Kontext hinausgehen, kann man verhindern, sich unablässig im Kreis zu drehen. Erst wenn die Blockade der Köpfe gelöst wird, die – einer beispiellosen Finanzkrise zum Trotz – immer noch durch das “TINA”-Mantra des kapitalistischen Endsiegs im Narren-Kostüm einer “sozialen Marktwirschaft” verursacht wird, (“There is no Alternative”), kann man für sich selber wieder Handlungsperspektiven entwickeln.

Ohne eine Thematisierung der gesetzten Prioritäten wird sich die Lage der gesellschaftlichen Finanzierung nicht verbessern lassen. Schon gar nicht, wenn die von interessierter Seite so vielgelobte “öffentliche Schuldenbremse” zukünftig eingehalten werden soll, auf die sich die in den Parlamenten versammelten Vertreter der Konzerninteressen parteiübergreifend geeinigt haben – um die auf Konten der internationalen Finanzwirtschaft verschobene fette Beute des “Bankenrettungsgesetzes” zu legitimieren. Alleine die undurchsichtige Notrettung der HRE hat z.B. das fünfzigfache der Wuppertaler Schulden gekostet. (100 Mrd. Euro.)

Doch einige Jahrzehnte politischen “Rollbacks” haben ausgereicht, dass manches inzwischen fast vollständig unthematisiert bleibt, während anderes, wie die Sozialetats oder die Kulturförderungen beständig unter Beschuss stehen. Wer kommt schon noch auf die Idee, eine expansive, weltweite Kriegspolitik mit der Krise in den Städten in Zusammenhang zu bringen? Wem ist bewusst, dass ein EADS-Airbus-Transporter A 400, der laut Definition für eigene Transportkapazitäten ausserhalb des Kontinents notwendig ist, und von dem die Bundeswehr 60 Stück bestellt hat, bis zum Doppelten des Wuppertaler Sparkonzeptes kostet? (Schätzungen des Stückpreises reichen von 100 – 180 Mio. Euro je Flieger.)

Wer macht sich klar, dass die politische Entscheidung, die Bundeswehr auch in fernen Kriegsgebieten wie Afghanistan in Stellung bringen zu können, auch etwas mit der Schliessung von Schulbibliotheken zu tun hat? Der Krieg in Afghanistan wird zurecht von der Mehrheit der Bevölkerung aus prinzipiellen Gründen abgelehnt, die Tatsache aber, dass nur zwei Jahre “Verteidigung unserer Freiheit am Hindukusch” ungefähr der Gesamtverschuldung einer Stadt wie Wuppertal entsprechen, wird kaum diskutiert. Der Krieg in Afghanistan geht jetzt in das neunte Jahr. (Die Schulden der Stadt: ca. 2 Mrd. Euro, die deutschen Kriegskosten in Afghanistan betragen aktuell pro Jahr: ca. 1,1 Mrd. Euro.) Die strategische Entscheidung, Deutschland wieder in weltweite Kriege zu führen, wird demnach nicht nur gegen die politischen Bedenken der Bevölkerungsmehrheit durchgesetzt, sondern auch um den Preis funktionierender eigener sozialer Strukturen. Die Aufgabe ganzer Quartiere samt der Bevölkerung ist, so gesehen, ebenso eine Art “Notopfer” für die deutsche Kriegsstrategie, wie es Hartz-IV-Gesetzgebung, eingeschränkte Krankenversorgung oder jedes der anderen “Reformprojekte” der letzten Jahre sind.

Die strategische Entscheidung, Deutschland wieder in weltweite Kriege zu führen, wird nicht nur gegen die politischen Bedenken der Bevölkerungsmehrheit durchgesetzt, sondern auch um den Preis funktionierender eigener sozialer Strukturen. Die Aufgabe ganzer Quartiere samt der Bevölkerung ist eine Art “Notopfer” – auch für die deutsche Kriegsstrategie. Ebenso wie es die Hartz-IV-Gesetzgebung, eingeschränkte Krankenversorgung oder jedes der anderen “Reformprojekte” der letzten Jahre sind.

Die Absicherung der kapitalistischen Interessen der Konzerne aus Finanzindustrie und militärisch-industriellem Komplex und die Durchsetzung der Profitinteressen weniger Global Player stehen auf der durch die Parteien bestimmten Prioritätenliste ganz oben.  Jeder weiss es eigentlich. Auch schon ziemlich lange. Doch eine Diskussion darüber findet nicht statt. Wer es versucht, muss zumindest mit einer Strafarbeit rechnen: Ich darf das System nicht infragestellen, ich darf das System nicht infragestellen, ich darf das System nicht infragestellen, ich darf das System…

Allein machen sie dich ein

Ohne ein radikales Hinterfragen systemischer Zusammenhänge wird man auf der Suche nach tragfähgen Ideen für ein zukünftiges gesellschaftliches Zusammenleben jedoch nicht weit kommen. In demokratisch kaum noch legitimierten Herrschaftssystemen – die Wuppertaler CDU wurde z.B. gerade einmal von 12% aller in der Stadt lebenden Menschen gewählt – ist nicht zu erwarten, dass ein echtes Nachdenken, (und Handeln), in den politisch längst entkernten Strukturen der Räte und Parlamente beginnen kann, auch wenn einzelne Parteien der Opposition darum bemüht sein mögen. Der Beginn von Veränderung muss von unten initiert und organisiert werden, und er darf nicht an kleinlichen Interessen scheitern. Wenn etwas erreicht werden soll, bevor der Ausverkauf der öffentlichen Räume und Strukturen abgeschlossen ist, müssen jetzt Bündnisse eingegangen werden.

Die Liste der Initiativen, die am letzten Freitag zur offenen Protestversammlung ins Barmer Rathaus eingeladen hatten, zeigt, wie es sein kann.

Es muss jetzt darum gehen, diese Liste zu erweitern, ohne dabei an Entschlossenheit zu verlieren. Ein solches Bündnis muss neben den üblichen Organisationen und Initiativen auch Einzelpersonen und ungebundene Gruppen ansprechen, um einen dynamischen Prozess auszulösen und um Begrenzungen einzelner politischer Ziele und Aktionsansätze aufzubrechen.

Der Erfolg des breit aufgestellten Bündnisses “¡no pasarán!”, das vor zwei Wochen den alljährlichen Marsch eines Faschisten-Mobs in Dresden durch massenhaften zivilen Ungehorsam mittels zahlreicher Blockaden verhindert hat, hat gezeigt, wie weit man mit entschlossenem und solidarischem Handeln kommen kann. Neben dem Mut, sich auch von Kriminalisierungsversuchen nicht einschüchtern zu lassen, waren ein klar definiertes Ziel, eine gute Vorbereitung und eine sehr gute Vernetzung der verschiedenen Akteure Voraussetzung für diesen Erfolg.

An einer solchen Vernetzung mangelt es in Wuppertal noch. Hier müssen allseits miteinander Kompromisse eingegangen werden, um durch die Nutzung einer gemeinsamen Informationsplattform notwendige Aktionsformen zu organisieren und um Proteste zu koordinieren. Zugleich muss eine solche Vernetzung auch eine gut funktionierende lokale Gegenöffentlichkeit schaffen, um dem Meinungsmonopol der einzigen Wuppertaler Tageszeitung und der Vermischtes-Berichterstattung des Wuppertaler WDR-Studios etwas entgegensetzen zu können. Der Aufbau eines eigenen zentralen Informationsnetzes gehört daher zu den wichtigsten Aufgaben, denen sich möglicher urbaner Widerstand gegen den Raub der Stadt stellen muss. Hierfür bedarf es der Unterstützung durch alle bestehenden Initiativen und Infoportale. Auch die Parlamentarier im Stadtrat, die ihre Nähe zu den Bewegungen gerne betonen, müssen ihnen zur Verfügung stehende Mittel in ein Gegenöffentlichkeits-Projekt einbringen. Schliesslich wurden sie nicht gewählt, um zu regieren, sondern um den Fuss in der Tür des Stadtrats zu haben. Die Räume, die durch die Ratsfraktion DIE LINKE im Barmer Rathaus für die Offene Protestversammlung am letzten Freitag gestellt wurden, sind ein guter Anfang.

Doch auch ein gemeinsames Ziel ist noch nicht auszumachen, noch machen zuviele von den Plänen der Stadt Betroffene den Eindruck, sie glaubten, dass sich bei entsprechender Demut der fragile Status Quo aufrechterhalten liesse. Zu oft wird der Protest auf die Forderung nach Erhalt bisheriger Zuschüsse reduziert – als sei bisher alles in Ordnung gewesen. Zu naiv wird noch immer auf Dialogfähigkeit und Einsichten gehofft, wo doch längst vollendete Tatsachen geschaffen wurden. Das gilt auch und besonders für die sogenannte “freie Kulturszene” der Stadt. Das erforderliche “radikale Hinterfragen systemischer Zusammenhänge”, das vor allem auch von Künstlern kommen müsste, findet zu wenig statt.

Die Off-Kultur, die an der Spitze des Widerstands stehen sollte, debattiert über Strategien für das Gespräch mit OB Peter Jung, anstatt die Gespräche mit der Stadt einzustellen – um so eigene Handlungsoptionen zurückzugewinnen. Denn solche Gespräche sind schon deshalb sinnlos, weil die beteilgten Gesprächspartner keinen gemeinsamen Kulturbegriff haben, über den es zu reden lohnte. Wenn in offiziellen Runden von Kultur die Rede ist, dann als Standortfaktor oder als Projekt des Tourismus. Kultur wird als Produkt aufgefasst, nicht als notwendiger gesellschaftlicher Kitt. In solchen Gesprächen ist nichts zu holen – im Gegenteil. Anstatt eine eigene Offensive vorzubereiten, verpufft die Energie in vielen erfolglosen Rückzugsgefechten.

Es muss eine schnelle Verständigung auf das geben, was in dieser Stadt in der zukünftigen Lage erreicht werden soll. Das muss über das zweifelhafte Verteidigen reduzierter Angebote hinausgehen. Kulturszene und die sozialen Initiativen müssen jetzt anfangen über Strukturen und Strategien nachzudenken, mit denen Räume und Möglichkeiten nach einem vollzogenen Kahlschlag erobert und verteidigt werden können. Ein zukünftiger Underground muss jetzt vorbereitet und organisiert werden.

Dabei hilft manchmal ein Blick über den Rand des Talkessels. In Städten wie Hamburg haben breite Bündnisse aus Off-Kultur und politischen Bewegungen nicht nur ein massives Druckpotential geschaffen, sondern auch schon Bemerkenswertes erreicht. Die Interessen von kleinen Einzelhändlern, einfachen Bewohnern und Künstlern eines Quartiers sind im Widerstand gegen einen neoliberalen Stadtumbau nicht entgegengesetzt – jedem wird sein Kiez auf die eine oder andere Art weggenommen. Sei es durch Verdrängung oder durch Streichung aller öffentlichen Mittel. Von Bündnissen wie dem Hamburger “Recht auf Stadt” lässt sich auch für eine Situation wie der Wuppertaler einiges lernen, selbst wenn Gentrifizierungs-Probleme – nur oberflächlich betrachtet – anders gelagert erscheinen als jene einer “sparenden Stadt”.

Die Künstler Wuppertals, die Arbeitslosen, die Niedriglöhner, die Wuppertaler Migranten und die Nicht-Migranten von ausserhalb,  die Alten und die Jungen, Freischwimmer und Nichtschwimmer, Kaufleute und ihre Kunden, die Kioskbesitzer und die Open-Air-Biertrinker müssen sich jetzt solidarisieren und sich in zivilem Ungehorsam üben. Sie müssen klarmachen, dass Wuppertal ihre Stadt ist, und eben nicht die der Banken und Baukonzerne, der Krisengewinnler und Kapitalisten.

Vieles deutet daraufhin, dass sich die sozialen und politischen Konflikte zunehmend vor der eigenen Haustüre und im eigenen Kiez abspielen werden. Fast vergessene Auseinandersetzungen um die Form des gesellschaftlichen Zusamenlebens werden dabei in den sich abzeichnenden kommenden urbanen Kämpfen wieder neu aufbrechen. Diese urbanen Kämpfe, von denen es im Moment noch nur einen kleinen Vorgeschmack gibt, werden schwierig und hart, denn niemand sollte meinen, dass sie einfach zu gewinnen seien. Im Gegenteil. Die, die schon viel zuviel in ihrem Sinne ge- und verdreht haben, werden ihre Beute nicht so einfach loslassen.

Aber es muss versucht werden. Jetzt.

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