MOONWALK? TANZ DIE PINA BAUSCH!

Es wäre eine angemessen spannende Begegnung von weltweit trauernden Menschen, träfen Massen von Michael Jackson-Kopien auf die vielen Fans der “Göttin des Tanzes”, um den Verlust ihrer Ikonen gemeinsam tanzend zu bewältigen. Die dabei entstehenden Bilder würden der Kritik sicherlich gefallen, die uns heute und in den nächsten Tagen jede Menge vorproduzierter Nachrufe auf die Wuppertaler Choreographin vorsetzen wird. Bis dann das Thema für die Feuilletonschreiber der bürgerlichen Presse abgehakt, und die nächste Sau ausgemacht sein wird, die sie durch ihren feingeistigen Blätterwald treiben können.

Nicht allzu schnell werden die Bewohner Wuppertals den Tod der Chefin des Tanztheaters, jener “strengen bergischen Frau” (Zitat: 500 Beine), abhaken können. Viel zu gross ist die Lücke, die sie künstlerisch hinterlässt und zu schwer die erlittene Verwundung der urbanen Seele dieser Stadt, um schon bald zur Tagesordnung übergehen zu können.

Damit ist nicht in erster Linie der Verlust an Reputation gemeint, der nun die, kulturell nicht gerade schwergewichtige, Stadt an der Wupper ereilen wird. Das, unmittelbar nach Bekanntwerden ihres Todes eingesetzte Begreinen des Bedeutungsverlustes der Stadt kann getrost dem Wuppertaler OB Peter Jung überlassen werden, dessen echte Bestürzung über den Verlust einer so gerne wie entlarvend als “Aushängeschild” bezeichneten Künstlerin gut im TV-Interview zu sehen war.

Viel mehr wird den Bewohnern der Stadt die künstlerisch teils wundersame Überhöhung ihres eher tristen Alltagsseins in einer “Werktagsstadt” (Zitat Pina Bausch) abhanden kommen, von der auch jene, die in ihrem Leben niemals die Spielstätten des Wuppertaler Tanztheaters betreten haben, zehrten. Das Ensemble des Wuppertaler Tanztheaters hat mit seinen Inszenierungen in Permanenz nachgewiesen, dass auch inmitten von Leucht-Grau und mit einer global vorkonfektionierten Fastfood-Station als unmittelbarem Nachbarn, Bilder von übergrosser Schönheit und Intensität entstehen können.

Auch, wenn viele bergische Querschädel das, was im Opernhaus, bzw. Schauspielhaus stattfand, nur vom Hörensagen kannten und erst nach internationalem Jubel die Qualität dessen zu würdigen begannen, war die Identifikation mit den rezipierten Themen der Pina Bausch hoch. Ging es nicht auch im Alltag zwischen Lidl und ALDI, zwischen ARGE und Ein-Euro-Job um eigentlich andere, existenziellere Fragen des Daseins? Erinnerte das Bauschsche Tanztheater – auch durch die internationalen Kooperationen mit Künstlern aus Orten, in denen das Leben oft noch schwerer fällt als im Tal der Wupper – nicht immer wieder daran, dass es vor allem die eigenen Handlungen im Feld der Liebe, der Zuneigung, der Trauer oder auch der Konflikte mit Machtstrukturen sind, die letztlich über den Grad des Glücks entscheiden? Was bedeutete das für die Wahrnehmung dieser Stadt als Lebensraum? Wenn das Berlin Wowereits “arm aber sexy” ist, was war dann das Wuppertal der Bausch? Arm aber intensiv?

Das Beharren Pina Bauschs darauf, ihrer Arbeit in Wuppertal, (ausgerechnet in Wuppertal !), nachzugehen, war etwas, dass die Bewohner der Stadt stolz gemacht hat. In einer Stadt, die Viele verlassen, war das Bleiben einer Künstlerin, die jeden Ort der Welt hätte auswählen können, um unter ungleich mondäneren und luxuriöseren Bedingungen ihre künstlerische Arbeit fortzusetzen, gleich mehrfach bedeutsam. Weil es als Ausweis dafür verstanden wurde, dass sich ein Bleiben und erfolgreiches Arbeiten nicht ausschliessen müssen – dass die Stadt also nicht zwingend eher Mittelmässiges hervorbringen muss. Und auch, weil sich die Wuppertaler über das Tanztheater kollektiv selber einen offenen Geist zuschreiben lassen konnten, den sie in Wahrheit häufig gar nicht hatten – zumindest nicht am Anfang.

Doch die anfängliche, ignorante Verstörung der Besucher ihres Tanztheaters ist mit der Zeit tatsächlich einem ehrlichen Respekt gewichen. Sie haben die Provokateurin einfach irgendwann für sich vereinnahmt, die einen mehr still und lernend – die anderen aus Gründen des Marketings.

Aber Pina Bausch hat sich nie wirklich vereinnahmen lassen. Auch das wichtig für die oben erwähnte urbane Seele, die in Wuppertal – vielleicht mehr noch als anderswo – peinlich darauf achtet, ob jemand abhebt oder sich zurückzieht, wenn der grosse Ruhm kommt. Nie hat sich um die Choreographin und ihre Kompagnie eine elitäre Szene etabliert, die abseits der Stadt in einer eigenen Sphäre lebte. Im Gegenteil – Pina Bausch hat Generationen von Tänzern aus aller Welt zu den Leuten der Stadt gebracht – in viele Veranstaltungen anderer Künstler, in das Alltagsleben und auch in die Kneipen und Bars. Mancher Ort, wie beispielsweise das frühe Café du Congo im Luisenviertel am Beginn seines Daseins als “kleine Altstadt” Elberfelds vor dreissig Jahren, oder das Café ADA heute, wäre ohne das Tanztheater Pina Bauschs nur schwer vorstellbar. Ideell, oder, wie beim Kampf um den Erhalt des ADA, auch ganz konkret.

Dabei sind auch viele Freundschaften entstanden, und vielfältige, enge internationale Vernetzungen. Und die Tatsache, dass alle einige kennen, die ganz persönlich geschockt sind über den Verlust des Menschen Pina Bausch, macht ihren Tod schwer fassbar. Die Situation erinnert an eine Katastrophe, von der um einen herum zuviele Menschen direkt betroffen sind.

In den mehr als dreissig Jahren, in denen Pina Bausch Wuppertals Kulturszene geprägt hat, sind abertausende ganz persönlicher Geschichten und Episoden entstanden. Sie alle wabern derzeit durch die schwüle Sommerhitze – egal, wo man sich in Wuppertal gerade aufhält. Man stelle sich vor, Pina Bausch könnte noch aus diesem riesigen Fundus an Szenen und Bildern schöpfen – sie wäre in der Lage, sie auf der Bühne nachvollziehbar umzusetzen.

Pina Bausch hat der Welt eine neue Definition von Tanz gegeben und Wuppertal eine Form von Würde. Es wäre zu wünschen, es ergäbe sich für die Bewohner der Stadt eine Möglichkeit, von Pina Bausch Abschied zu nehmen, indem sie ihr einen letzten Vorhang bereiten, der ihrer Bedeutung für die Menschen in Wuppertal angemessen ist. Es würden sicherlich sehr viele kommen, sie war schliesslich eine von uns.

Dieser Artikel ist ursprünglich bei TUNN:EL erschienen.

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Publiziert: Juli 1st, 2009
Rubrik: kiez und umgebung, kultur und alltag
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