HATE-RADIO

Hate-Radio bezeichnet für gewöhnlich meist staatlich gesendetes Programm, das zum Hass auf bestimmte Ethnien oder auf religiöse oder politische Gegner anstachelt. Eine ganz neue Form von Hate-Radio, bzw. Hate-TV jedoch wurde in den Wochen der Fussball-EM durch die öffentlich-rechtlichen Sender Deutschlands kreiert.

Der Hass, der durch die Art der 24/7-Versendung bei mündigen Zuschauern entstand, war Hass auf Johann Baptist Kerner, dem anderenorts bereits eine Tracht Prügel gewünscht wurde, weil er “seinen Mund mit Wörtern füllt, die sich gegen ihre Einspeichelung nicht wehren können”; Hass auf Monica Lierhaus, deren einst ganz eventuell einmal vorhandene journalistische Zielsetzung mit jeder Sendeminute, die sie uns beplappern durfte, tiefer im Lago Maggiore hinter ihr verklappt worden ist; Hass auf ZDF-Sportstudio-Moderatorin Katrin Müller-Hohenstein, die mit ihrem üblen schwarz-rot-goldenen Dirndl (sic!) schlimmsten Augenkrebs verursachte und Hass überhaupt auf alle, die im Laufe der drei Wochen die unsägliche ZDF-Seebühne in Bregenz oder Waldemar Hartmanns EM-Club betreten haben. Doch Hass ist nie ein guter Ratgeber. Verstellt er doch den Blick auf ein Medien-Desaster, das weit über den Ekel vor einzelnen Personen hinausreicht und das einer rationaleren Betrachtung bedarf.

Offensichtlich wurde dies nochmals am vorgestrigen Montag, während der wohl schlimmsten Inszenierung der letzten Wochen, als in Berlin die Jubelorgie für die finalen Verlierer des Vortages parallel in nicht weniger als drei öffentlich-rechtlichen Sendern übertragen wurde – eine Sendeplanung, die ansonsten eigentlich dem Papst und Königen vorbehalten bleibt. Wieder dabei: Lierhaus und Kerner, die als die neuen Cindy und Bert vor die Kameras und die angeblich Hunderttausende am Brandenburger Tor traten. Der eine salbaderte von “Grösse im Verlieren”, die andere salbte “unsere Jungs” nach ihrer Rückkehr von der Front, kicherte dabei wie ein Teenie und jazzte die letztlich doch sehr dürftige Performance des Teams zu einer “tollen Leistung” hoch. Den Rest ihrer Konzentration mussten beide im weiteren Verlauf dafür aufbringen, nicht auf ihrem eigenen Schleim auszurutschen, auf dem in der Folge zweifelhafte Popkulturgrössen Promoauftritte absolvierten und so das Erscheinen von “Jogi”, “Poldi” und “Schweini” vorbereiteten. Doch das geschenkt. Ausführlichere Stilkritik an der Art der Präsentation der Nationalmannschaft findet sich u.A. hier oder hier in den Feuilletons der bürgerlichen Presse. Dabei wäre ein Verschieben des Themas in die Ressorts Medien und Politik längst angesagt.

Denn was der Aufritt der beiden öffentlich-rechtlichen Anheizer wirklich deutlich gemacht hat, ist, was bei den öffentlichen Leichenbeschauen der letzten Wochen tatsächlich zu begutachten war. Während Wiglaf Droste in der “jungen Welt” noch dachte, die zahlreichen Besucher eines “Public Viewings” betrachteten sich in diesem Sinne im Wesentlichen selber, und Fussballfans des Alltags fanden, dass es sich beim Objekt des nekrophilen Interesses eher um die kommerziell zerfledderten Überreste ihres Ballsports handelte, so wird in der Rückschau klar, welche Leiche tatsächlich in Deutschlands “Fan-Zonen” ausgestellt wurde. Es war der Kadaver eines öffentlich-rechtlichen (Sport-) Journalismus, von dem man dort gemeinsam fähnchenschwingend und hüpfend Abschied nehmen konnte.

Kerner, der erstaunlicherweise auch als Journalist geführt wird, Lierhaus und alle anderen aus den Sendebehörden haben in den zurückliegenden Wochen endgültig jedwede Art einer Distanz zum Objekt ihrer Berichterstattung aufgegeben. Kritische Nachfragen? Fehlanzeige. Distanzierte Berichterstattung über Spielverläufe? Nada. Hintergrundinformationen, die nicht mit der DFB-Zentrale abgestimmt waren? Nirgendwo.

Trotz vielstündiger Berichte vor und nach jedem Spiel, erfuhr man von einem fast handgreiflichen Konflikt zwischen dem Spieler Ballack und dem Teammanager Bierhoff im Anschluss an das Finale z.B. nichts, sondern musste warten, bis die Story am Folgetag durch Printmedien nachgeliefert wurde.

Trotz grosser und teurer Sportredaktionen bei ARD und ZDF gab es den einzigen im TV ausgestrahlten kritischen Kommentar zur sportlichen Leistung der Nationalmannschaft ausgerechnet von Rainer Holzschuh, sofern man das knurrige Gemurmel eines Günter Netzer nicht als Kritik überbewerten will. Holzschuh, Chefredakteur wohlgemerkt des Kicker, einem Magazin, das beileibe nicht in dem Ruf steht, mit dem Gegenstand seiner Berichterstattung allzu kritisch umzugehen, war der einzige, der sich im allgemeinen Taumel der Berliner Jubelperser-Veranstaltung weigerte, rundum mit Allem zufrieden zu sein. Dafür wurde sein Statement dann auch konsequenterweise zum Minoritätensender Phoenix abgeschoben, wo es die gute Laune nicht weiter trüben konnte.

Die Sportredaktionen der Öffentlich-Rechtlichen, die sich noch vor einem Jahr, anlässlich der Dopingfälle rund um den Radsport, den bigotten Heiligenschein eines kritischen Journalismus verpassten – nicht ohne dafür auch über Karrieren und Lebenswege zu gehen – sitzen tiefer denn je im Gedärm schwarz-rot-geiler Sport-Helden. Fragt man sich, wie es dazu kommt, gibt es zwei Erklärungsansätze.

Der erste wird durch die Wahl des Ortes der “DFB-Celebration” deutlich. War es bis 2006 ausgemachte Sache, dass Teams, die es angeblich verdient hatten, öffentlich in der Hauptstadt des Fussballs – in Frankfurt nämlich, dem Sitz der DFB-Zentrale – verabschiedet wurden, so wird seit der WM 2006 dieser hoheitliche Akt in der politischen Hauptstadt des Landes begangen.

Es ist wie in ganz simplen Verschwörungstheorien. Die Herrschenden bedienen sich inzwischen ganz offen des Volksvergnügens Fussball, um Stimmungslagen und Entwicklungen zu beeinflussen. Getreu der Aussage des faschistischen Diktators Portugals António de Oliveira Salazar, der auf die Frage, wie er sich so lange – nämlich 36 Jahre – habe an der Macht halten können, geantwortet haben soll, massgeblich seinen die “drei F – Fiesta, Fado und Fussball” gewesen – (Dank für diesen Hinweis an den türkischen Zeitungsverkäufer meines Vertrauens) – wird ein Ereignis wie die abgelaufene EM dazu benutzt, ein sozial und politisch auseinanderdriftendes Volk mittels eines aufgewärmten “Sommermärchens” vom zunehmend perspektivlosen Alltag und von unangenehmen Entscheidungen, wie z.B. der zusätzlichen Entsendung deutscher Soldaten nach Afghanistan abzulenken. Dass die Angelegenheit ganz offen als “Märchen” bezeichnet wird, ist dabei nicht mehr als eine zynische Randnotiz.

So einfach das erscheint, so richtig ist es. Aber nicht wirklich neu, denkt man an Salazar. Neu aber ist, dass hierfür die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten derart massiv in die Pflicht genommen werden. Anders, als mit vorhandenen Leitlinien und Sprachregelungen lässt sich nämlich kaum erklären, dass z.B. die öffentlich-rechtliche Bildregie eine im Stadion anwesende Kanzlerin häufiger zeigte, als am Spiel beteiligte Akteure. Begleitet wurden diese – oft genug den aktuellen Spielverlauf unterbrechenden – “Human -Touch” -Studien von Merkel dann obendrein von latent unterwürfigen Kommentaren, sodass das Ganze in seiner unkritischen Nähe beinahe an das rumänische TV der Ceauşescu-Ära erinnerte. Lediglich die Tatsache, dass Angela Merkel im Anschluss eines Spieles von einem beflissenen öffentlich-rechtlichen Stichwortgeber vor der UEFA-Sponsorenwand in Szene gesetzt wurde, gab uns einen Hinweis darauf, dass es, anders als bei Ceauşescu, offenbar doch noch höhere Mächte zu geben scheint.

Ebensowenig lässt sich anders als mit Vorgaben erklären, dass sämtliche Vor- und Nachberichte zum Halbfinale gegen die Türkei einer – nach wie vor in weiten Teilen rassistischen – Gesellschaft ein Wirklichkeitskonzept einer politisch gewünschten “Freundschaftsparty” überstülpten. Dass dabei real abgelaufene Türken-Hatzen wie in Magdeburg konsequent ausgeblendet wurden, versteht sich fast von selber. Die Frage, wielange die Sender dieses Bild einer grossen wohligen Harmonie hätten aufrechterhalten können, wenn es – bei einem verdienten Sieg der türkischen Mannschaft – nicht bei einzelnen Vorfällen geblieben wäre, musste glücklicherweise nicht beantwortet werden, weil das Tor in letzter Minute auf der “richtigen” Seite fiel. Obwohl – interessant wäre es schon gewesen, herauszufinden, ob sie vielleicht bereits vorproduzierte Hintergrundberichte über das Scheitern von “Multikulti” zur Verfügung gehabt hätten, um eine zu erwartende Aufwallung zu kanalisieren, oder ob die riesige Party zwangsweise auch im TV hätte weitergehen müssen.

Dass es bei den vielfachen medialen Diensten im Sinne einer fussballbefeuerten neuen “Du bist Deutschland!”-Kampagne nicht nur um vorauseilenden Gehorsam einzelner Sportredaktionen ging, sondern dass das ganze System des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in den Dienst der Sache gestellt wurde, zeigte sich besonders im auf zehn Minuten verkürzten Allerheiligsten der Öffentlich Rechtlichen, den Hauptnachrichten in den jeweligen Halbzeitpausen. Diese schienen auf Zeit ebenfalls federführend vom “Sport” gemacht, und machten in der Regel nicht mit den politischen Schlagzeilen des Tages auf, die z.B. aus dem bereits angesprochenen Afghanistan-Mandat oder der geplanten Zentralerfassung aller Bürger bestanden hätten. Stattdessen eröffnete meist ein bereits zuvor gesendeter bunter Beitrag aus der Welt des zweiten “Sommermärchens” die Sendung. Hier ging es dann hauptsächlich um aktuelle Speisefolgen der Nationalspieler oder um Fragen wie “Tischtennis oder Yoga?” bzw. “Spielerfrauen oder Spielekonsole?”. Und selbst hier noch griff die Selbstzensur, in deren Fokus die Aufrechterhaltung der umfassenden Fröhlichkeit stand und durch die alles, was über das inszenierte “Märchen” hinausweisen könnte, ausgeblendet wurde. So wurde dem Zuschauer z.B. nicht zugemutet, die Nachricht, dass die Grossmutter des Spielers Mertesacker offenbar während der EM verstorben war, für ihn ein Besuch seiner Familie jedoch nicht ermöglicht werden konnte, in Relation zur Wichtigkeit der “Gipfel-Mission” “unserer Jungs” zu stellen.

Die Öffentlich-Rechtlichen haben sich nicht nur mit ihren Sportredaktionen von seriösem Journalismus verabschiedet. Wer Augen hat, zu sehen, und Ohren hat zu hören, weiss das schon länger, die oben angeführten Fälle sind nur exemplarisch für nahezu täglich vorgeführtes Desinteresse an distanzierter, fundierter und objektiver Berichterstattung. In der Transformation eines Sportereignisses zu einer nationalen Weihe und in der täglichen Ballung über drei Wochen fiel es nur besonders auf. Wie weit die mit Gebühren zugeschütteten öffentlichen Sendeanstalten inzwischen aber tatsächlich von jedem glaubwürdigen Anspruch entfernt sind, wird ersichtlich, wenn man erkennt, dass sich mit ihnen nichtmals mehr eine Auseinandersetzung über journalistische Standards führen lässt, weil das Gegenüber die anerkannten Basics einer kritischen Berichterstattung negiert und so tut, als definierte es das, was Journalismus ausmacht, in eigener Regie neu. Selbstzufriedenheit und gefühlte Unfehlbarkeit wären dann der zweite Ansatz einer Erklärung für das mediale Desaster der letzten Wochen.

Eine Sache wäre es, ernsthafte Begründungen dafür zu hören, warum ARD und ZDF im Rahmen ihrer EM-Berichterstattung auf journalistische Minimalanforderungen lieber verzichten wollen. Darüber liesse sich notfalls streiten. Die andere Sache ist, wenn ohne jede inhaltliche Auseinandersetzung und ohne jede Kenntnisnahme vielfach geäusserter Kritik einfach behauptet wird, Kerner und Konsorten seien eben Qualitätsjournalismus, wie nachfolgend von ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender in einer Pressemitteilung zum Erfolg der ZDF-Seebühne in Bregenz:

“Die Zuschauer haben uns für dieses Engagement belohnt. Rekordzahlen bei den Einschaltquoten, viel Lob und Anerkennung für Moderatoren, Reporter, Experten und Kommentatoren und eine Bildschirmpräsentation auf hohem Niveau zeichnen die Euro 2008 im ZDF aus […]
Das große Auge aus der Opernkulisse der Tosca-Aufführung ist in diesem Sommer zum Symbol für journalistische Qualität und die Leichtigkeit bester Fernsehunterhaltung geworden…”

Man nennt es wohl selektive Wahrnehmung, wenn nicht einmal planerische Katastrophen, wie ein offenbar nicht vorhandener Regenschutz für Moderatoren und Geräte auf der ach-so-tollen Bregenzer Seebühne, die Freude über eine “Bildschirmpräsentation auf hohem Niveau” trüben können. Angesichts eines solchen Selbstbildes, bei dem eigentlich ständig die Gefahr bestehen muss, sich beim selber-auf-die-Schulter-schlagen den Arm zu verrenken, und vor Allem angesichts einer immer offener betriebener Funktion als Propagandaapparat der Regierung, erscheint jeder Versuch, über die weitere Existenzberechtigung öffentlich-rechtlicher Sendeanstalten zu diskutieren, sinnlos. Der eigentlich ganz guten Idee, unabhängige Medien zu produzieren, die sich anderen Werten als denen der Profiterwirtschaftung verpflichtet fühlen, wird von Akteuren wie Nikolaus Brender und durch Journalisten-Darsteller wie Johannes B. Kerner oder Monica Lierhaus jede weitere Grundlage entzogen.

Passend dazu auch ein Zitat von dogfood, der bei allesaussersport – (einem im Übrigen jederzeit lesenswerten Blog zu Sport im Fernsehen) – nicht nur die oben angeführte ZDF-Pressemitteilung ausgegraben hat, sondern auch zu ganz ähnlichen Schlüssen kommt, obwohl er sich eigentlich als Befürworter des öffentlich-rechtlichen Sendesystems zu erkennen gibt:

“Wenn Führungspersonal eines Senders abseits jedes Geschmäcklerischen so tief und ohne Not in die Propagandakiste greift, ist jegliche ernsthafte Auseinandersetzung sinnlos. Das Maß der Verblendung macht deutlich, dass hier nur noch aus einer autistischen Binnensicht heraus argumentiert wird. Es macht schlichtweg keinen Sinn hier noch journalistische Maßstäbe ansetzen zu wollen. Hier hat sich etwas verselbstständigt und es wäre Kraftvergeudung es vor seinem Tod, vor seiner Implosion zu versuchen zu verändern.”

Wären die Verwalter und Vergeuder immenser Geldberge in den Gremien der Sendeanstalten weniger realitätsfremd – es sollte ihnen Angst machen, wenn sich Leute wie dogfood, aber auch viele andere, die sich normalerweise mit der Idee nichtkommerzieller Sender durchaus identifizieren können, inzwischen vorstellen können, auf sie zu verzichten. Denn ob sie sich an dem Tag, an dem ihre Existenzberechtigung allgemein infragegestellt werden wird, darauf werden verlassen können, von jenen verteidigt zu werden, denen sie ohne Not jeden journalistischen und kritischen Anspruch opfern – sei es das Publikum oder die Politik – darf massiv bezweifelt werden.

beeeeeeeeeeeeeeep….

Credits:
Das verwendete Testbild stammt von Herbert Kalsers toller Testbildsammlung tv-testbild.com

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