Wehrt sich Wuppertal? Teil 2

Original erschienen bei TUNN:EL

Woran liegt’s?

Hinter dem dichten Nebel aus Worthülsen, den Bündnisse wie “Wuppertal wehrt sich” und demonstrierende Bürgermeister im Ping-Pong mit der Presse verursachen, verschwindet die Sicht auf die Gründe urbaner Fehlentwicklungen.

Auf den ersten Blick gegenläufige Tendenzen wie das Problem der Gentrifizierung in “boomenden Städten” – gegen das man sich besonders in Hamburg oder Berlin zu wehren beginnt –  und der Niedergang von “shrinking cities” wie Wuppertal, verwirren den Betrachter. Der beide Seiten der gleichen Medaille verbindende Ausgangspunkt solcher Entwicklungen – der forcierte Umbau von städtischem Raum zu privaten Renditezonen – tritt hinter die täglichen (Verteilungs-) Kämpfe um die letzten Reserven zurück. Seien es die letzten Raumreserven, oder die letzte Kohle.

Doch wenn überhaupt eigene Strategien entwickelt werden sollen,  um in der Stadt der Zukunft noch zuhause sein zu können, muss man wissen, womit man es eigentlich zu tun hat. Begreift man nicht, dass die Entwicklungen Folgen bewusster Entscheidungen sind, und dass immer handelnde Personen und Subjekte hinter diesen Entscheidungen stehen, bleibt der Eindruck nahezu vom Himmel gefallener, alternativloser Naturkatastrophen.

Zunehmende Segregation und Bankrott der Städte sind jedoch kein Erdbeben. Sie sind als Folge politischer Vorgaben durchaus gewollt, zumindest aber billigend in Kauf genommen. Um das zu erkennen, muss man die urbanen Veränderungen als politischen Prozess betrachten, die Interessen und Strategien den jeweiligen Akteuren zuordnen und beurteilen.

Die Beschäftigung mit den Ursachen der derzeitigen urbanen Tendenzen ist nicht immer einfach und teilweise auch langweilig wie trockenes altes Brot – zwischen scheinbarer Binse und echter Information. Doch da müssen wir durch.

Worum geht’s hier eigentlich?

Wer will, kann die Strategien zur Neuordnung der Kommunen und zur neoliberalen Eroberung städtischer Lebensräume seit Jahren nachlesen. Zum Beispiel bei der allgegenwärtigen Bertelsmann-Stiftung, die ausdauernd das marktwirtschaftliche Mantra von Städten als Wirtschaftunternehmen singt; dafür sämtliche Aspekte des städtischen Lebens erfasst, auswertet und als Standortfaktor klassifiziert – und praktischerweise dann den von ihr beratenen Verwaltungen direkt auch noch den neoliberalen Werkzeugkasten für eine Verlagerung kommunaler Aufgaben in das Privatreich der Global-Player anbietet. Kostengünstig.

Nachlesen lässt es sich auch in in vielen Konzepten von Firmen wie Price Waterhouse, KPMG und Banken wie UBS/Warburg zu von ihnen ausdauernd propagierten Public-Private-Partnership-Deals, mit denen nahezu jeder Teilbereich städtischen Lebens in eine kommerzielle Verwurstbarkeit überführt werden soll – sehr gerne auch unter Mithilfe “verdienter” ehemaliger Politiker und heutiger Lobbyisten. Wie dem Untoten Rudolf Scharping, SPD, ehemals brutto und netto verwechselnder Kanzlerkandidat und Radfahrer, der jetzt mit einer Beraterfirma den Newsletter “PPP-Kompakt” herausgibt, oder Josef Fischer, ehemaliger Frankfurter Hausbesetzer, späterer Kriegsaussenminister und leibhaftige Kohlparodie, der neben der Lobbytätigkeit für BMW leider auch noch genügend Zeit dazu findet, als ein externer “Berater für Gentrifizierungsprojekte” beim EUREF zu wirken.

“Gentrifizierung” als Ziel, nicht als Unheil wohlgemerkt.

Und auch im Herzen des Kapitals, bei der Europäischen Union in Brüssel, die die europaweite Förderung von PPP-Deals zu ihren Kernaufgaben zählt, finden sich jede Menge strategische Studien dazu, wie der Umbau öffentlicher urbaner Strukturen zugunsten des Privatkapitals am Besten bewerkstelligt werden kann. Neben den klassischen Verkaufs-Privatisierungen sind die semiprivaten Modelle des gemeinsamen Investments das Hauptinstrument des derzeitigen neoliberalen Stadtumbaus.

Die durch die EU geförderten Öffentlich-Privaten-Kollaborationen zwischen Institutionen und privaten Geldgebern bzw. Betreibern kommunaler oder regionaler Infrastruktur sind ihrem Wesen nach nur wenig anders konstruiert als die inzwischen berüchtigten Cross-Border-Leasing-Kontrakte, mit denen auch Wuppertal ganz eigene Erfahrungen gemacht hat. Bei den PPP-Kontrakten geht es um Neuinvestitionen in Infrastruktur, bei CBL-Deals ging es um den Verkauf von im Allgemeineigentum befindlichen Anlagen und Werten an Finanzinvestoren – nur, um sie von diesen für viele Jahrzehnte zurückzuleasen.

Seitdem diese Re-Leasing-Deals in den USA, wo die meisten jener grossen Finanzinvestoren ihren Sitz haben, nicht länger steuerlich begünstigt werden, sind sie auch auf Investorenseite nicht mehr populär. Stattdessen konzentriert sich die “moderne” kommunale Privatisierung auf die Variante der “Public-Private-Partnerships”, bei denen private Partner in enger Kooperation mit Grossbanken Bauträger, Ausführender und späterer Betreiber von städtischer Infrastruktur sind. Die neuen Verwaltungsgebäude, Messehallen, Strassen oder Schulenzentren werden von ihnen im Rahmen von Komplett- Dienstleistungsverträgen mit jeweils 30-50 Jahren Laufzeit an die Städte oder deren kommunale Töchter vermietet. Die Höhe der Mietzahlungen ist dabei soweit festgelegt, dass die Profitrate für den privaten Investor dauerhaft sichergestellt wird.

Wem gehört die Welt?

Diese Geschäfte sind in der Regel nur für die privaten Investoren profitabel. Für beteiligte Städte bergen sie dagegen oft nicht zu kalkulierende Risiken und oft lediglich in die Zukunft verlagerte Schulden. Die Laufzeiten der Verträge sind vielfach so gestaltet, dass die Investoren genau dann aus ihrer Instandhaltungspflicht entlassen werden, wenn sich erste schwere Abnutzungsmängel zeigen; andere Betreiber-Pflichten werden seitens der privaten Partner oft nur ungenügend eingehalten und sind über die ganze Laufzeit der Verträge Anlass von Auseinandersetzungen zwischen der Kommune und ihrem privaten Kompagnon. Häufig erhalten die privaten Investoren auch Zugriff auf die von den Nutzern aufzubringenden Gebühren einer städtischen Dienstleistung. Auch hier sind im Vorfeld verabredete Zahlen später oft nur noch Makulatur. So sind seit der Teil-Privatisierung der Wasserwerke in Berlin die dortigen Preise für Wasser – entgegen aller Zusagen – unverhältnismässig stark angestiegen, während gleichzeitig die Trinkwasserleitungen und die Abwasserkanäle immer schlechter gewartet werden.

Genaueres zu Vertragspflichten und möglichen -verletzungen ist normalerweise jedoch nicht in Erfahrung zu bringen. Denn die von internationalen Riesenkanzleien (z.B. von Freshfields, vor allem bekannt geworden als Ghostwriter der Bundesregierung für das Bankenrettungsgesetz) aufgesetzten Cross-Border-Leasing- oder Public-Private-Partnership-Vertragsmonstren sind zumeist streng geheim – selbst die Abgeordneten der Parlamente erhalten keinen oder eingeschränkten Einblick in die Details. Auch in Wuppertal kennt noch immer niemand den Inhalt der Verträge zu den Cross-Border-Leasing-Geschäften mit MVA und Abwasser.

Bekannt ist hingegen, wer von diesen Geschäften profitiert. Kaum überraschend, teilen sich wenige internationale Megakonzerne die Proftite aus den teilprivatisierten kommunalen Infrastrukturen. Im Marktsegment des Neubaus und Betreibens von Gefängnissen, Schulen, Strassen, Sporthallen und was immer ihnen noch so einfällt, sind dies nur sechs Konzerne: Serco (England), Hochtief, Bilfinger Berger, SKE (deutsche Tochter von Vinci), Goldbeck und die Royal BAM-Group aus den Niederlanden.

Diese Konzerne bilden zusammen mit den vorfinanzierenden Platzhirschen der Finanzmärkte und unterstützt von international tätigen Anwaltskanzleien sowie den grossen Beraterfirmen ein Quasi-Oligopol. Die sie beherrschenden neuzeitlichen Oligarchen und Grossaktionäre entscheiden den Bedarf einer Stadt, über die Bedürfnisse ihrer Menschen und welcher Anbieter wo von ihnen profitiert. Bestehende kommunale demokratische Strukturen sind dabei ein lästiges Übel, das immer wieder viel Zeit kostet.

Oft geht den Think-Tanks und den Kanzleien eines neoliberalen Gesellschaftsmodells und ihren Auftraggebern der Umbau der Städte zu rein profitorientierten Privatunternehmen nicht schnell genug, zumal die Finanzkrise das Verscherbeln allgemeinen Eigentums zuletzt zusätzlich erschwert hat. Zudem treffen Verkauf und Privatisierung von Wohnungsgesellschaften oder von Stadt- und Wasserwerken oft auf den Unwillen der Bevölkerung, wie auch Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- u. Gemeindebundes bestätigt: “Privatisierung ist seit der Finanzkrise out. Ausserdem sind die Bürger dagegen.” An dieser Stelle tritt die Politik in die Pflicht gegenüber ihren privaten Partnern, um dem mit Prognosen und Prioritäten, Richtlinien und Vorgaben effektiv und umfassend entgegenzuwirken.

Zum privaten Glück gezwungen

Um die grosse Skepsis der Bevölkerung auszukontern und um den neoliberalen Umbau der Kommunen zu beschleunigen, sind von Land, Bund und der EU politische Folter-Instrumente entwickelt worden. Die von allen ehemaligen Regierungsparteien, CDU/CSU, FDP, SPD und den Grünen im Zusammenspiel mit dem Oligopol durchgesetzten Strukturwandelprogramme, Förderrichtlinien und Verteilungsschlüssel dienen weniger dazu, eine wirklich positive Gesamtentwicklung zu befördern. Vielmehr untergraben sie die hauptsächlich auf kommunaler Ebene mögliche Mitwirkung der Menschen an der Gestaltung ihres direkten Umfelds und lassen den Widerstand gegen die Übertragung offentlicher Aufgaben an rein profitorientierte Anbieter ins Leere laufen.

In ihrem Folter-Instrumentarium findet sich z.B. eine rein formal-juristische Variante durch eine Negierung demokratischer Rechte: Bürgerbegehren, die drohen, eventuell erfolgreich zu verlaufen, werden für unwirksam erklärt, (wie beim Riesenprojekt “Stuttgart 21”), oder durch gegenlautende und manipulative, aber massiv von den Leit-Medien der grossen Verlage beworbene Gegen-Befragungen nichtig gemacht – (wie etwa beim Kampf gegen einen City-IKEA in Hamburg-Altona). Es funktioniert jedoch auch etwas eleganter, wie bei der Entmündigung der Bewohner einer Stadt durch schlichtes Verschweigen wichtiger Einzelheiten und durch rein informelle Absprachen unterschiedlicher Stellen der Behörden. Oft finden undurchsichtige Kompensationsgeschäfte statt, deren Teile gar nicht miteinander in Bezug gesetzt werden können. (Teil-Abtretungen eines Naherholungsgebiets für einen Knastneubau gegen einen Landes-Strassen-Ausbau wären z.B. so ein Koppelgeschäft.)

Doch neben der formalen Demontage demokratischer Funktionen werden auch finanzielle Tatsachen geschaffen, die eine mögliche Selbstbestimmung der Stadt-Bewohner im Keim ersticken sollen.

Um die Verwandlung gesellschaftlich kontrollierter Strukturen in einen Dienstleistungssupermarkt möglichst bald flächendeckend durch bindende Geheimverträge für Jahrzehnte abzusichern – (so kann z.B. auch die – erst nach dem partiellen Verkauf der Berliner Wasserversorgung gewählte – “rot-rote” Senatsmehrheit in Berlin das Trinkwasser keinesfalls wieder rekommunalisieren) – hat sich die finanzielle Strangulierung der Städte als effektivste Methode erwiesen, Kommunen zu ihrem “privaten Glück” zu zwingen. Wer arm ist, nimmt das, was er kriegen kann.

In Kombination mit der Vergabepraxis bei Landes-, Bundes- und EU-Zuschüssen, die jeweils einen Eigenanteil der Kommunen an beabsichtigten Strukturmassnahmen einfordert, bricht der eigene Gestaltungswille der Städte so mehr und mehr in sich zusammen. Sie haben nicht mehr genug Geld, um Notwendiges selbst zu finanzieren, und das wenige, das noch da ist, wird nicht etwa da eingesetzt, wo es die Bevölkerung als sinnvoll ansieht, sondern ausschliesslich dort, wo weitere Geldmittel akquiriert werden können. Und das ist immer an der Seite von oft federführendern privaten Investoren, die die Bedarfs- und Gewinnplanung einer Investition gleich selber erledigen – ohne dabei an Folgeprobleme und Stadtentwicklung zu denken. Die vielen Shoppingmalls in der unmittelbaren Nachbarschaft zu verödeten Innenstädten werden davon auch in vielen Jahren noch ein betongewordenes Zeugnis ablegen. Für jene, die man hereinlässt, ebenso wie für jene, die mangels Kaufkraft draussen bleiben müssen.

Es mutet an wie ein schlechter Treppenwitz – aber ausgerechnet der Beinahe-Kollaps der hinter den Privatisierungs-Raubzügen stehenden globalen Finanzwirtschaft, der mithilfe öffentlicher Gelder gerade nochmal abgewendet wurde (für dieses Mal) – wird jetzt unter Verweis auf fehlende Mittel dazu benutzt, eine kommunale Finanzkrise zu verschärfen, die die Kommunen noch schneller in die Arme genau jener Banken und Konzerne treiben wird, die soeben noch mit öffentlichen Geldern gerettet worden sind. Das nennt man dann wohl eine “win-win-situation”.

Sparen, um zu gestalten

Wenn eine Stadt wie Wuppertal einen Teil eines ihr gehörenden kommunalen Unternehmens veräussert, um den Eigenanteil an einem Bauvorhaben, (z.B. dem Umbau einer zentralen Kreuzung, von dem sicher einige der zuvor genannten Konzerne profitieren), finanzieren zu können, dann hat der Planer des neoliberalen Stadtumbaus alles richtig gemacht. Die Kommune verkauft billig Teile ihres profitablen Eigentums, verschuldet sich darüberhinaus noch weiter mit langfristigen Zahlungsverpflichtungen, und die fette Beute wird von den ausführenden und vorfinanzierenden Banken und Unternehmen weggeschleppt – und das auch noch, dank geheimer Verträge, ohne parlamentarische Kontrolle.

Übrig bleiben dann oft auch noch vollkommen geschmack- und gesichtslose neue Kreuzungen, das tolle neue Parkhaus für den tollen neuen Möbelmarkt, eine auf vermeintlichen Standortvorteil und Reingewinn zugeschnittene Eventkultur, oder viel bejubelte Leuchtturmprojekte, deren gebetsartig verkündeter Nutzen nur für jene zum Tragen kommt, die ihre Nutzung bezahlen können. Übrig bleiben so eben auch geschrumpfter Besitz an den eigenen Bildungsträgern, Energieversorgern oder Wohnungsgesellschaften ein noch nicht sichtbarer Berg von zukünftigen neuen Schulden und Innenstadt-Wüsten, aus denen die Shoppingmall-Betreiber kraft Hausrecht die Teile der Bevölkerung ausschliessen können, die nicht genügend konsumieren oder mögliche Kunden vielleicht verschrecken. Übrig bleiben marode Trink- und Abwassersysteme und nicht richtig gewartete Fahrgerüste für Schwebebahnen.

Auf der Strecke bleibt dagegen die aktive Teilhabe aller Menschen an den Dingen in ihrer Stadt, die Perspektive der Habenichtse, der jungen wie der alten, der soziale Friede und die Lebensqualität.

Auf der Strecke bleibt so die demokratische Stadt – zugunsten der Gewinne eines Oligopols, dessen politische Verflechtungen nicht mehr entwirrbar scheinen. Vor diesem Hintergrund erhält der Titel des Wuppertaler Haushaltssicherungskonzepts eine erschreckend düster-bedrohliche Bedeutung.

“Sparen, um zu gestalten.” Es ist zu befürchten, dass sie es ganz genau so meinen.

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