REPRESSIVES WUPPERTAL: NACHTRAG

von Der graue Block

Es ist an der Zeit, der Ende Mai hier und inzwischen auch hier veröffentlichten kleinen Heimatkunde, die sich mit der gewaltsamen Auflösung der Wuppertaler autonomen 1. Mai Demonstration und der zunehmenden Eskalationssstrategie der lokalen Ordnungspolitik beschäftigte, einige ergänzende Informationen hinterherzutragen.

01- Update: Stellungnahme des Innenministeriums NRW:
Als Antwort auf eine mündliche Anfrage der NRW-Landtagsabgeordneten Monika Düker (Grüne) zur Auflösung der Wuppertaler autonomen 1.Mai Demonstration gab es Anfang Juni eine schriftliche Stellungnahme des Innenministeriums.

In dieser werden – wenig überraschend – die bereits im Anschluss an die Auflösung der Demonstration veröffentlichten polizeilichen Behauptungen im Wesentlichen wiederholt. Neben den von vielen Augenzeugen bestrittenen Gewalttaten, (Flaschenwürfe, das Verspritzen von Brennspiritus), werden die Vermummung “zahlreicher Personen”, sowie “mit Seilen verbundene Transparente” und von Badegästen mitgeführte “Taucherbrillen und Luftmatratzen” genannt, um den massiven Polizeieinatz und die anschliessende Festnahme von offiziell 199 Personen zu begründen. Gegen alle 199 Festgenommenen wurden Ermittlungsverfahren wegen Landfriedensbruch eingeleitet.

Dass in der abschliessenden behördlichen Bewertung der Vorgänge als Ziel der völlig überzogenen polizeilichen Massnahmen “der Schutz friedlicher Versammlungen” genannt wird, offenbart die Stellungnahme als das, was sie ist: Eine Verdrehung der Tatsachen und ein Freibrief des Innenministeriums für die Einsatzleitung der Polizei. Der volle Wortlaut der mündlichen Anfrage und der ministralen Stellungnahme ist hier dokumentiert.

02 – Update: Aktionen zum NRW-Tag in Wuppertal:
Dass sich der in Wuppertal am letzten Augustwochenende veranstaltete zweite “NRW-Tag” als besonders günstiges Reaktionsfeld anbietet, um der Inszenierung der Stadt als niedlichem “Standort starker Marken und Global Player“ (aus dem offiziellen Programmkonzept) etwas entgegenzusetzen, wurde ja bereits im ursprünglichen Beitrag angesprochen.

Inzwischen ist hierzu unter der Überschrift “NRW-Tag in der Wupper versenken!” ein vielfältiges Gegenprogramm zum offiziellen Konzept des Stadtmarketings erarbeitet worden, dass für die hoffentlich vielen Teilnehmer aus ganz Deutschland jede Menge Buntes und für die Polizei eine tolle dreitägige Schnitzeljagd im gesamten Stadtgebiet verspricht. Das angedachte Spektrum der Aktionen bietet dabei von einer landesweiten Protestkundgebung des Wuppertaler ASTA gegen Studiengebühren, über einen Teilnahmeversuch an der geplanten Kabinettssitzung mit Empfang und Gala in der Stadthalle, einer geplante “Demonstration gegen Dummheit und Brutalität im Amt” sowie einer “Mahnwache vor dem Unternehmerkongress mit Brecht-Chor” bis hin zu verschiedenen mehr oder weniger spontanen Konzerten eine Vielfalt an Bewegung, die das schwachsinnige offizielle Motto des Stadtmarketings zum NRW-Tag “Wuppertal bewegt. Sich. Mich. Dich.” wörtlich nimmt.

Das gesamte (vorläufige) Gegenprogramm zum NRW-Tag 2008 mit durchaus auch kabarettistischer Sprengkraft, findet sich im UMLOG in den Kommentaren und auch auf einer mittlerweile eigens eingerichteten Website. Über die weiteren Entwicklung der Dinge und auch über mögliche eigene Beiträge zum NRW-Tag 2008 wird natürlich weiter im UMLOG informiert.

03 – Hintergrund: Demonstrationsrecht:
Warum auf das Recht, sich spontan zu versammeln und auch unangemeldet demonstrieren zu dürfen – dass bei der Wuppertaler autonomen 1.Mai Demonstration seit mittlerweile zwei Jahrzehnten durchgesetzt wird – überhaupt bestanden werden muss, erschliesst sich ganz gut aus einem Interview in der Tageszeitung “junge Welt”, in dem ein Anmelder einer Karlsruher Demonstration im Vorfeld des letztjährigen G8-Gipfels, von seinem Verfahren vor dem Amtsgericht Karlsruhe berichtet. Das interview macht klar, dass es bei der Vorgabe, eine Demonstration oder Versammlung anzumelden, eben nicht nur darum geht, mögliche Demonstrationswege und -zeitpunkte zu kontrollieren, sondern dass die Anmeldung einer Demonstration vielmehr zunehmend auch dazu genutzt wird, das Demonstrationsrecht durch unkalkulierbare Konsequenzen für einen Anmelder insgesamt auszuhöhlen.

Gegenstand des Verfahrens vor dem Karlsruher Gericht waren dabei vor allem Verstösse gegen polizeiliche Auflagen, wie z.B. eine Unterschreitung von Mindestabständen zwischen Demonstrationstransparenten oder das einheitliche Tragen von Sonnenbrillen. Für diese – durch einzelne Teilnehmer der Demonstration zu verantwortenden – “Tatbestände” wurde der Anmelder persönlich haftbar gemacht. Zum Zeitpunkt des Interviews wurde ihm dafür seitens der Staatsanwaltschaft ein Strafbefehl über 4.800 Euro in Aussicht gestellt. Das dann gegen den anmeldenden Studenten ergangene Urteil belief sich, laut eines Artikels des “Neuen Deutschland”, dann immerhin noch auf 60 Tagessätze á 15 Euro. Obwohl sich der Anmelder während der friedlich verlaufenen Demonstration weitgehend kooperativ gezeigt hatte, und auch jederzeit für die Einsatzleitung der Polizei ansprechbar gewesen war, wurde er letztlich haftbar gemacht für Vorgänge, die für ihn zu keiner Zeit kontrollier- oder verhinderbar gewesen sind – immerhin ist es das Wesen einer Demonstration, dass sie sich (noch) nicht als geschlossene Gesellschaft mit Platzreservierung und Einlasskontrolle darstellt.

Konkret bedeutet diese Rechtsprechung die Zwangsverpflichtung anmeldebereiter Personen als willige Hilfssheriffs der Ordnungskräfte. Je nach Auflage müssten demnach Demonstrationsteilnehmer und -blöcke zukünftig persönlich mit Massbändern kontrolliert oder mit Informationen zu unliebsamen Inhalten von Sprechchören oder Transparenten ausgestattet werden, will ein Anmelder einer Versammlung oder Demonstration nicht inkaufnehmen, den Versammlungsort schlimmstenfalls finanziell ruiniert wieder zu verlassen.

In Verbindung mit dem soeben verabschiedeten neuen bayrischen Versammlungsgesetz, das zusätzliche neue Straftatbestände definiert, und als Prototyp ähnlicher Gesetze auch in anderen Bundesländern gehandelt wird, stellt die persönliche Haftung für Anmelder von Demonstrationen schlicht ein unkontrollierbares Risiko dar, was dazu führen wird, dass sich zukünftig kaum noch jemand bereit erklären kann, Versammlungen oder Demonstrationen anzumelden.

Das Demonstrationsrecht hätte sich damit durch die Hintertür verabschiedet, und bliebe zukünftig finanzstarken Organisationen vorbehalten, die ggf. einen massiven und durchsetzungsfähigen Ordnungsdienst gegen die eigenen Demonstrationsteilnehmer in Stellung bringen könnten. Die Durchsetzung auch weiterhin nicht angemeldeter Versammlungen und Demonstrationen ist daher nicht etwa die moderne Variante eines “Räuber und Gendarm”-Spieles, sondern dient der notwendigen Verteidigung der Möglichkeiten, Widerstand zu leisten und sich öffentlich wahrnehmbar zu artikulieren.

Wie das Karlsruher Urteil gezeigt hat, hätte z.B. eine Anmeldung der Wuppertaler autonomen 1.Mai Demonstration dazu führen können, jemanden für die – in der Stellungnahme des NRW-Innenministeriums u.A. angeführte – Vermummung einiger Teilnehmer oder für die mit Seilen verbundenen Transparente haftbar zu machen – ohne jede Notwendigeit, einzelne “Verstösse” individuell nachzuweisen.

Die Festnahme der 199 hätte eine Anmeldung der Demonstration hingegen mit Sicherheit nicht verhindert.

04 – Die arme Stadt:
Kurz nach der Veröffentlichung des Ursprungsbeitrages wurde ein Ranking des wirtschaftsfreundlichen Thinktanks “Hamburgisches Welt-Wirtschafts-Institut” (HWWI) publik, in dem Wuppertal von 30 untersuchten grossen Städten Deutschlands auf dem vorletzten Platz landete, und über das u.A. auch in der Süddeutschen Zeitung bundesweit berichtet wurde.

Versteht man solche – z.B. auch von der neoliberalen Kampfmaschine INSM regelmässig durchgeführten – Untersuchungen seitenrichtig zu lesen, ergibt sich aus ihnen genau jenes Bild einer verarmenden Stadt, in der mehr und mehr Menschen in eine perspektivlose soziale Situation geraten. In der Analyse des Ist-Zustands tut es sich eben nichts, ob man ein Gebilde wie Wuppertal aus der Sicht der Gewinnmaximierung oder aus der Warte des ALG II-Empfängers betrachtet.

Die Rahmendaten sprechen eine eindeutige Sprache. Überrascht von solchen Ergebnissen sind daher weder Täter, noch Opfer des Neoliberalismus. Überraschen können solche Resultate bestenfalls schlichte Gemüter wie Stadtdirektor Johannes Slawig, der in einem vom WDR geführten Interview in bemerkenswerter Offenheit zugibt: “Herr Slawig, bei der wirtschaftlichen Entwicklung deutscher Großstädte landet Wuppertal in der aktuellen HWWI-Studie weit abgeschlagen auf dem vorletzten Platz. Eine Überraschung für Sie?” – Johannes Slawig: “Das ist schon sehr überraschend.”

Vielleicht sollte sich Johannes Slawig doch mal etwas öfter mit normalen Bürgern der Stadt unterhalten, deren Direktor er sein will. Zum Beispiel mit dem einen oder der anderen der in der Stadt wohnenden Hartz IV-Bezieher. Die Verblüffung würde wohl geringer ausfallen. Muss man noch erwähnen, dass dem befragten Stadtdirektor darüberhinaus nichts einfällt, als weiter auf eben jene neoliberalen Instrumente zu bauen, die diese Stadt für viele Wuppertaler zunehmend erst zu einer feindlichen Umgebung machen?

Die politische Phantasie der lokalen politischen Funktionsträger beschränkt sich bei der Haushaltsplanung, der Stadtentwicklung oder auch der Kulturpolitik inzwischen nahezu ausschliesslich auf eine willfährige Bedienung privater und profitorientierter Interessen – und das auch noch weitgehend erfolglos, wie die o.a. Studie prima nachweist. Der eventuell vorhandene Rest an geistiger Kreativität geht dann leider für erbärmliches Postengeschacher der beiden, die Stadtverwaltung tragenden Parteien drauf, wie einem, zum Wochenende in der lokalen Monopolzeitung veröffentlichten Interview mit dem Parteivorsitzenden der Wuppertaler SPD, Dietmar Bell, zu entnehmen ist. Unmittelbare Interessen der Wuppertaler Bevölkerung, wie u.A. breitgefächerte Möglichkeiten zur Teilnahme am urbanen Leben oder kostenlose, bzw. zumindest günstige Kultur- und Nahverkehrsangebote kommen hingegen in ihren Überlegungen kaum noch vor. Umso zynischer und wirklichkeitsfremder wirkt da die am letzten Augustwochenende beim NRW-Tag beabsichtigte Selbstdarstellung der Stadt als “bergische Metropole” mit hoher Lebensqualität und günstigen Investitionsbedingungen.

Das haben inzwischen auch schon ganz andere erkannt, z.B. sogar die Süddeutsche Zeitung. Deren Einstieg in ihren Artikel zur HWWI-Studie liest sich wie eine Persiflage auf das Credo des Wuppertaler Oberbürgermeisters Peter Jung: “Ein bisschen mehr Sonne in Wuppertal… Ein bisschen mehr Fröhlichkeit und weniger Grimmigkeit / und die Welt verändert ihren Lauf in Wuppertal.” So ungelenk diese Verse eines Wuppertaler Junglyrikers sein mögen, so klar ist doch ihre Botschaft: Der Stadt geht es nicht gut. Es steht zu befürchten, dass es zur Heilung mehr braucht als weniger Grimmigkeit.

Eben. Mehr Grimmigkeit. Viel mehr Grimmigkeit…

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