BERND DAS BROT, HOMER SIMPSON, LAFONTAINE

Welche Wahl? War da was? Müdigkeit und Langeweile aller Orten. Das (nicht) wählende Volk ist überdrüssig. Es interessiert sich nicht. Oder doch? Oskar Lafontaine zeigt in Wuppertal, dass das nicht stimmt.Letzten Sonntagabend schalteten im Schnitt 30% weniger Zuschauer als noch 2005 einen der vier Kartellsender ein, um das vorgebliche “Duell” zweier “eigenartig geklonter Marionetten” (Claus Peymann)zu verfolgen, das doch der Höhepunkt der medialen Inszenierungen zur Bundestagswahl am 27. September hätte sein sollen.

Insgesamt nur knapp 14 Millionen potentielle Wähler wollten sehen, was die beiden Kandidaten nicht zu sagen hatten. Während die öffentlich-rechtlichen Sender hiervon noch den Löwenanteil abstaubten – in der Hauptsache wohl Leute, die zunächst vergeblich auf den “Tatort” oder das neue “Uta Danella-Epos” hofften, und dann, bevor sie umschalten konnten, wahrscheinlich schon eingeschläfert waren – verzeichneten die am “Wahlduell” beteiligten “Unterschichtensender” – RTL und SAT 1 – nur desaströses Desinteresse. In der von ihnen bedienten Zielgruppe gab es zwei Wochen vor der Wahl nur einen ganz eindeutigen Gewinner des Sonntags: Homer Simpson bei Pro 7. Eine geschmackssichere Wahl der Unterschicht, auch wenn sich der SPD-Kandidat Frank Walter Steinmeier stetig bemüht, an “Bernd das Brot” zu erinnern.

Sieger des TV-Duells

Kein Wort dazu jedoch von den veranstaltenden Sendeanstalten. Weder die zunehmend einer ZDF-Vorabendserien-Journalistendarstellerin ähnelnde Anne Will, noch der sich in selbstdefinierter Bedeutung verlierende “Graf Zahl” der Sesamstrasse, ähh – ARD, Jörg Schönenbohm, gingen auf das “Is’-mir-doch-egal”-Quotenvotum des eifrig besendeten Wahlvolks ein. Und auch sonst bieten die traurigen Gestalten der sogenannten “vierten Gewalt” in der BRD wenig zu den wirklichen Fragen politischer Entscheidungen – lieber vergrössern sie wortreich und beflissen das dargebotene Nichts. Wie beim beinahe allabendlichen “Wahl-Watching” im Zweiten – (welcher Praktikant durfte sich diesen selten dämlichen Trailer-Claim eigentlich ausdenken?) – oder bei den seriellen “Analysen” INSM-gesponsorter Stichwortgeber des Kapitals vieler anderer Sonderausstrahlungen zur “Schicksalswahl 2009″.

Politik scheint diesen Sommer – der doch politische Probleme aufwirft, wohin man guckt – nur noch aus uninteressanten rhetorischen Fragen zu bestehen, deren Antworten niemand hören will, und die deswegen auch gar nicht gegeben werden. “Wie führen wir das Land aus der grossen Krise?”, “Wie können wir alle gemeinsam stärken?”, “Wie lösen wir die grossen Probleme?” fragt die Regierende in die Runde. “Ja, wie denn?” will man ihr zurufen. Niemand tut es. Konnte der inzwischen zum Gaslobbyisten gewordene “Acker” Schröder beim letzten Mal, wenn schon nicht intellektuell, so doch wenigstens vom Unterhaltungswert an einen Homer Simpson heranreichen, wendet sich das Publikum bei Steinmeier und oder Merkel nur noch genervt bis gestört ab. Dafür wird es dann gerne als “politikverdrossen” beschimpft.

Doch anders, als Spin-Doktoren und mediale Schergen der regierenden Junta behaupten, sind die Menschen durchaus an politischen Inhalten interessiert. Wenn es denn welche gibt.

Das liess sich am Freitag vor dem “TV-Duell” in Wuppertal beobachten. Die LINKE hatte an jenem Tag mit Oskar Lafontaine ihren Popstar aufgeboten, auf dem zentralen Elberfelder Willy-Brandt-Platz aus einer verbreiteten Agonie Wahlunterstützung für die einzige Oppositionspartei zu machen. Und tatsächlich konnte Lafontaine zwischen 1.000 und 1.200 Zuhörer motivieren, trotz schönen Wetters zu einer Wahlrede zu kommen – obwohl es kein Freibier gab. Mehr noch: Die, die gekommen waren, hörten dem halben Parteivorsitzenden der aus Ost-PDS und West-WASG in nur wenigen Jahren zusammengeschusterten Organisation eine Stunde lang sehr aufmerksam und hochkonzentriert zu.

Sieger des TV-Duells

Dabei redete das zum Abschuss freigegebene Schreckgespenst der bürgerlichen Klasse durchaus anspruchsvoll über Grundbedingungen einer echten Demokratie, Funktionsweisen jenes neoliberalen Systems, das stattdessen in der BRD etabliert ist, mediale Verfügungsgewalt in diesem Land und fehlende Redaktionsstatuten. Die Forderungen seiner Partei, die mehr Demokratie, unabhängige Abgeordnete, die nicht auf der Payroll von Konzernen stehen, Umverteilung des Reichtums Weniger zugunsten Vieler, gesellschaftliche Kontrolle des Banksystems, belegschaftsbestimmte Betriebe und – wenige Tage nach dem Massaker von Kundus – natürlich auch einen sofortigen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan umfassen, wurden in den freien Vortrag eingebunden ohne allzu populistisch und demagogisch formuliert zu sein. Diese zwei Attribute – ohne die beinahe keine Erwähnung des Namens Oskar Lafontaines in den bürgerlichen Medien auskommt – verbinden sich scheinbar nur in den Köpfen jener, die viel zu viel zu verlieren haben mit Forderungen nach einer vernünftigen Alterssicherung aller oder bezahlbarer medizinischer Versorgung für alle Menschen.

Das Publikum, das anders als von der Westdeutschen Zeitung am nächsten Tag berichtet, absolut nicht nur aus “Gleichgesinnten”, sondern aus einem breiten Spektrum bestand – viele Ältere, aber auch viele Jüngere, viele Migranten und Migrantinnen, radikale Linke, aber auch noch aktive SPDler – war dankbar für sechzig Minuten Inhalt. Selbst zunächst skeptische Zuhörer applaudierten am Ende der Rede lang anhaltend, wie sogar die WZ zugestehen musste.

Überhaupt: Unser kleiner lokaler Tageszeitungsmonopolist, der schon im abgelaufenen Kommunalwahlkampf über die LINKE kaum berichtet hat. Wie zur Bestätigung der Thesen Oskar Lafontaines von der Medienmacht weniger Familien und Konzerne in Deutschland, fiel die Berichterstattung zur Veranstaltung der LINKEN dürftig und diffamierend aus. Von Inhalten kein Wort, stattdessen Oskar Lafontaine als “politischer Unterhalter”, dem zur Erreichung seiner Ziele auch “weniger demokratische Mittel legitim” sind. Inwieweit die WZ damit einem Land wie Frankreich schlicht die Demokratie abspricht – wo es den gemeinten, geforderten Generalstreik als politisches Mittel gibt – geht aus dem Artikel leider nicht hervor. Dafür fand sich wohl kein Platz – der musste schliesslich genutzt werden, um auch noch den kümmerlichen Auftritt der Jämmerlichen Union (JU) in die Zeilen zu quetschen – samt wörtlichem Zitat altbekannter Parolen der Bürgersöhnchen und -töchter.

Die absolute Krönung der WZ-Samstagsausgabe war jedoch ein sehr umfangreiches Interview mit dem unerträglichen Kasper Peter Hintze, das – quasi als Abbitte für den Beitrag zu Lafontaine – direkt über diesem plaziert war, und in dem der CDU-Ageordnete “Wuppertal auf einem guten Weg” sieht. Ein Hohn. Womit sich der Kreis der letzten Wochen schliesst. Vielleicht hat er ja sogar Recht. Trotz Wiederwahl der “Bleimütze” vor zweieinhalb Wochen ist die Hoffnung nicht verloren, wenn man die Veranstaltung von Freitag zum Mass nimmt. Ob der “gute Weg” dann jedoch in die von Peter Hintze gewünschte Richtung führt, wird man noch sehen.

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Publiziert: September 15th, 2009
Rubrik: kiez und umgebung, lüge und wahn
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